Projekte als Treiber institutioneller Veränderung? Einsichten aus einem Praxisdiskurs (TURN Conference 2025)
Anmerkung: Dies ist ein Gastbeitrag.
Dieser Beitrag beruht auf dem Impulsvortrag zum Thema „Was passiert nach Projektende in der (digital gestützten) Hochschulentwicklung und wie wird die Tür zum digitalen Raum offen gehalten“ auf der TURN Conference 2025.
Wir alle kennen das: Projekte kommen – und Projekte gehen. Und oft genug nehmen sie ihre Ideen, Visionen und Tools gleich mit. Was bleibt, ist die Frage: Wie sichern wir das, was aufgebaut wurde? Und was bleibt, wenn die Projektlaufzeit endet und die Fördermittel auslaufen?
Projekte in der digitalen Hochschulentwicklung
Gerade im Kontext der digital gestützten Hochschulentwicklung, wo Innovationen schnelllebig sind und Veränderungsprozesse Zeit brauchen, wird Nachhaltigkeit zur zentralen Herausforderung.
Besonders die Hochschullehre hat in den vergangenen Jahren einen Digitalisierungsschub durch die Pandemie und durch neue Förderinitiativen erfahren. Drittmittelgeförderte Projekte gelten hierbei zunehmend als Treiber institutioneller Veränderung und als temporäre Innovationsräume, in den neue Möglichkeiten für die Hochschullehre ausprobiert und dann verstetigt werden können.
Mit Blick auf die Herausforderungen der nachhaltigen Implementierung möchten wir zwei Perspektiven vorstellen: Wir blicken projektübergreifend auf die typischen Stolpersteine bei der Verstetigung von Innovationen in Hochschulen. Und wir berichten von der Universität Bamberg, wo ein Projektbeirat nachhaltig Impulse setzt.
Wir werden sehen: Die Hindernisse – fehlende Ressourcen, mangelnde Unterstützung – sind oft schnell benannt. Die Erfolgsfaktoren hingegen liegen eher zwischen den Zeilen: mutige Entscheidungen, eine unterstützende Kultur und gemeinsamer Gestaltungswille.
Typische Stolpersteine bei der Verstetigung
Viele Hochschulen haben mit den gleichen Herausforderungen zu kämpfen. Dabei lassen sich drei typische Stolpersteine identifizieren, die wir in den Blick nehmen möchten.
Die illustrierenden Transkriptionsausschnitte entstammen Interviews, die Lorenz Mrohs im Rahmen seiner Dissertation zur Steuerung und Organisation von Hochschulentwicklungsprojekten erhoben hat. Hier befragte er Projektkoordinator/innen zu Projektstrukturen und Aufgabenverteilungen, Entscheidungsfindungsprozessen und Zusammenarbeit in Projekten. Und dazu, wie die Wirkungen solcher Hochschulprojekte und deren Aussicht auf Verstetigung wahrgenommen werden.
Das erste Beispiel nennt begrenzte bzw. fehlende Personalressourcen als Herausforderung:
Wenn man es genau nimmt, ist es natürlich Missbrauch von Projektmitteln. […] Und ich verstehe auch, dass Hochschulen das so machen müssen, um voranzukommen, weil die Mittel selber nicht da sind. Aber es ist […] nicht Sinn der Sache […] Stellen mit Projektmitteln zu ersetzen, die eigentlich dauerhaft an Hochschulen etabliert werden müssen.
Hieran zeigt sich vordergründig das Problem, dass durch Projektmittel Stellen an Hochschulen besetzt werden, die nicht nur für Projektarbeit genutzt werden, sondern auch mit anderen Aufgaben betraut werden.
Gleichzeitig wird hieran ein allgemeineres Problem von Hochschulen sichtbar: Zum einen Befristungen für Mitarbeitende, die eigentlich mit Daueraufgaben betraut sind und gleichzeitig Ressourcenknappheiten der Hochschulen, die dazu führen, dass Daueraufgaben über Drittmittelstellen finanziert werden.
Auch unzureichende Infrastrukturen an Hochschulen werden als Stolperstein beschrieben:
Was wir beispielsweise rausgefunden haben, dass die Serverkapazität, […] für ein flächendeckendes Prüfungssystem für unsere große Universität nicht ausreicht.
Hieran zeigt sich, dass Projekte als Innovationsräume genutzt werden. Im Beispiel wird mit einem neuem Prüfsystem experimentiert und man entdeckt Probleme, die vorher nicht sichtbar waren - das ist ja erstmal Lernen und damit auch ok. Die Frage ist jetzt: Wie wird damit umgegangen? Wird die Situation so gelassen, wie bisher, weil die Mittel nicht da sind, oder werden andere Wege gefunden, um mit diesen Problemen umzugehen?
Zudem wird die fehlende Unterstützung von Hochschulleitungen als Herausforderungen für Projekte beschrieben:
[Wir] haben einen sehr massiven Schwerpunkt auf Exzellenz. Wenn unser/e Rektor/in irgendwo eine Rede hält, spätestens nach drei Sekunden […] ist er/sie bei Exzellenz und Forschung. Und das [Lehrprojekt] wird auch einfach nicht gesehen in der Hochschulleitung. [Wir] bräuchten eine/r Prorektor/in, der/die das auf die Tagesordnung setzt und auch dafür einsteht.
In diesem Beispiel ist es die Forschungsexzellenz, die Themen wie die Innovierung der Hochschullehre verdrängt und nachrangig erscheinen lässt. Die Priorisierung anderer Themen zeigt, dass nicht nur Zielkonflikte an Hochschulen bestehen, sondern diese durch Ressourcenkonflikte zusätzlich verstärkt werden.
Für Entwicklungsprojekte und deren Erfolg scheint daher ein strategisch gerahmter Veränderungsprozess notwendig, in dem Entwicklungsprojekte durch Entscheidungsträger/innen ihrer Hochschulen begleitet und gestützt werden.
Und es wirft auch wieder die bekannte Frage auf, ob wir über „Forschung und Lehre" oder eher „Lehre und Forschung" an Hochschulen sprechen wollen.
Zusammenfassend zeigt sich in unseren Fällen ein Bündel wiederkehrender Engstellen:
- knappe (Personal-)Ressourcen, die Hochschulen und deren Projekte betreffen und sogar beeinträchtigen können;
- Herausforderungen, die erst im Projekverlauf sichtbar werden und agile Möglichkeiten brauchen, um auf die neuen Erkenntnisse reagieren zu können;
- die Frage, wie Hochschulleitungen Entwicklungsprozesse strategisch begleiten können, trotz Ziel- und Ressourcenkonflikten strategisch begleiten können.
Besonders dort, wo eine Leitungsrahmung erfordert wird, entsteht eine Zwischenzone, in der operative Projektlogiken und strategische Erwartungen aufeinandertreffen. Eine Möglichkeit diese Zone zu adressieren Kopplungen zwischen Projekt und Dauerstruktur herzustellen besteht in der Einrichtung eines begleitenden Projektbeirats.
Der Projektbeirat als Begleitgremium
Im zweiten Fallbeispiel geht es um einen Projektbeirat an der Universität Bamberg, in dem alle Statusgruppen sowie ein/e externe/r Experte/in vertreten sind. Das Beispiel zeigt, wie in einer „Begleitgruppe" das Thema Verstetigung im Projekt aufgegriffen und reflektiert wurde.
Bereits in der ersten Sitzung (2022) des projektbegleitenden Beirats wurde deutlich, dass die Frage nach der Verstetigung digitaler Strukturen und Entwicklungen von Anfang an präsent war. Die Projektsprecher/innen betonten die Notwendigkeit, tragfähige Wege zu finden, wie die durch das Projekt geschaffenen Impulse langfristig in die universitären Strukturen integriert werden können – nicht nur in Form technischer Systeme, sondern als Teil einer nachhaltigen digitalen Lehrkultur.
Vor dem Hintergrund der Diskussion um die Möglichkeiten der Verstetigung wurden im Beirat auch verschiedene Herausforderungen thematisiert. Das Projekt wird zu einer Digitalisierungsstrategie an der Universität beitragen können, allerdings tauchen – insbesondere durch die Größe des Projekts und die Heterogenität der Teilprojekte – eine Reihe von strukturellen Schwierigkeiten auf, die nicht innerhalb des Projekts gelöst werden können.
Bei den adressierten Herausforderungen ging es um klassische Themen vieler Universitäten: angespannte Personalsituation in Servicestellen, Probleme hinsichtlich der Implementierung neuer Funktionalitäten im LMS oder ein vorsichtiger Umgang mit Fragen des Datenschutzes.
Bereits in dieser ersten Sitzung empfiehlt der Beirat, diese Herausforderungen und Chancen in einem Strategiepapier zu bündeln, um die Universitätsleitung bei der Entwicklung einer nachhaltigen Digitalisierungsstrategie gezielt zu unterstützen.
Der Beirat wurde somit früh zu einem Forum, in dem strategische Fragen, Ressourcenengpässe und strukturelle Herausforderungen offen angesprochen werden und somit an die Unileitung gespielt werden konnten.
Auch in den folgenden Sitzungen (2023, 2024) blieb die Verstetigung ein wiederkehrendes Thema. Im Jahr 2023 wurde eine Liste mit einer Übersicht zum aktuellen „Stand bei der Verstetigung von Softwareanwendungen" diskutiert und priorisiert. Und 2024 wurde über „niedrigwellige Verstetigungen aus dem Projekt heraus nachgedacht, die auch mit einem neuen Antrag verknüpft werden könnten." (Auszug Protokoll Beiratssitzung Juli 2024)
Darin zeigt sich eine Form der Anschlussmöglichkeit über weitere passende Projektanträge, die dies inhaltlich und thematisch ermöglichen. Darin deutet sich zweierlei ab: Auf der einen Seite wird damit sichtbar, wie wichtig thematische Förderlinien für die kontinuierliche Entwicklung und Verstetigung von Innovationen sind, gleichzeitig zeigt sich aber hier auch ein hohes Risiko: schließlich können Förderlinien enden und Folgeanträge nicht erfolgreich sein.
Insgesamt deutet sich an, dass in einem Beirat immer wieder zentrale Themen auf die Agenda gebracht werden, die sonst leicht im Projektalltag untergehen würden – und dass diese Themen so auf Leitungsebene sichtbar gemacht werden können.
Gleichzeitig zeigt sich die Begrenztheit seiner Wirkungsmöglichkeiten: Der Beirat kann Impulse setzen, Diskussionen strukturieren und Probleme benennen – lösen kann er sie jedoch nur selten selbst. Strukturelle Bedingungen wie Finanzierung, Personalengpässe, datenschutzrechtliche Unsicherheiten und die institutionelle Bereitschaft zur dauerhaften Übernahme innovativer Praktiken bleiben daher kritische Hinderungsfaktoren.
Gerade vor diesem Hintergrund zeigt sich: Beiräte sind wichtige Impulsgeber für Verstetigung – aber sie brauchen Resonanzräume innerhalb der Hochschulleitung und konkrete Anschlussstrukturen, um ihre Wirkung langfristig entfalten zu können.
Die Chancen der Herausforderungen
Die beiden Fallbeispiele zeigen unterschiedliche strukturelle Herausforderungen, die auf typische Ressourcenknappheiten an Hochschulen und eine begrenzte strategische Begleitung von Projekten zurückzuführen sind.
Sie weisen im Umkehrschluss aber auch auf Chancen hin:
- organisationales Lernen: Durch Projekten werden begrenzte Ressourcen an verschiedenen Stellen sichtbar sowie die damit verbundene Erkenntnis, dass . dass nachhaltige Entwicklungs- und Veränderungsprozesse nicht allein projektförmig realisiert werden können. getragen werden kann. Projekte werden so zu einem „Spiegel", der problematische Strukturen und organisationale Schwächen ebenso sichtbar macht, wie unerwartbare Potenziale und darüber Anlässe für tiefergehende organisationale Lernprozesse eröffnet.
- Potenzial zur Prioritätensetzung: Ressourcenknappheit kann auch als Chance zur Priorisierung verstanden werden. Wenn nicht alles gleichzeitig möglich ist, lassen sich Projekte nutzen, um zu erproben, wo der größte Mehrwert für Studium, Lehre oder Organisation liegt. Projekte wirken dann wie ein „Filter", der sichtbar macht, welche Innovationen sich lohnen, in Dauerstrukturen überführt zu werden.
- Impuls zur strategischen Positionierung: Eine didaktische und strategisch kluge Einbindung der Hochschulleitung ist wichtig: Schließlich sind es die Hochschulleitungen, die Veränderungen der Hochschulen an unterschiedlichen Stellen (Projekte, Politik etc) bearbeiten und unterschiedliche Ziel- und Ressourcenkonflikte berücksichtigen müssen.
Fragen, die wir stellen müssen
Damit Projekte erfolgreich sein können, müssen wir Wege im Umgang mit diesen und ähnlichen Herausforderungen finden. Zentral dafür kann sein, folgende Fragen zu bearbeiten:
- Wir haben gesehen, dass Projekte auch genutzt genutzt werden, um Ressourcenengpässe zu bewältigen – inwiefern kann dies im Hinblick auf eine Verstetigung bereits mitgedacht werden?
- Wir haben gesehen, dass die Einbindung der entscheidenden Stakeholder an Universitäten zentral ist für den „Kampf um Verstetigungen". Gleichzeitig stehen diese Stakeholder vor vielfältigen Herausforderungen und leiden unter Zeitknappheit – welche Strategien der Einbindung erscheinen zielführend und sinnvoll?
- Und wir haben gesehen, dass Kontinuität auch durch Förderlinien entstehen kann – Aber ist es immer sinnvoll, auf die nächste Ausschreibung zu hoffen und was wären Alternativen?
Ergebnisse des Praxisdiskurses
Für den Praxisdiskurs auf der TURN Conference 2025 waren Dr. Ivo van den Berk (Teamleiter Wissenstransfer, Stiftung Innovation in der Hochschullehre), Prof. Dr. Viera Pirker (Vizepräsidentin für Studium und Lehre, Goethe-Universität Frankfurt) und Prof. Dr. Steffen Prowe (Professor für Mikrobiologie, Berliner Hochschule für Technik) eingeladen. Wir fassen die drei wichtigsten Punkte der Diskussion zwischen Podium und Plenum zusammen.
1) Beteiligte Hochschulleitungen und strategische Rahmung
Einigkeit bestand darin, dass Projekte erfolgreicher sind, wenn Hochschulleitungen nicht nur unterstützen, sondern eine klare strategische Rahmung bieten. Drittmittelprojekte wirken stärker, wenn ihre Einwerbung an den strategischen Zielen der Universität ausgerichtet ist.
Zwei praktische Konsequenzen:
- Frühe strategische Prüfung: Bereits in der Antragsphase sollte zentral geprüft werden, wie die „Form der Einbettung" aussieht und wie gut der Fit zu gesamtuniversitären Strategien ist und tatsächlichen Bedarfen ist.
- Begleitung statt Kontrolle: Leitungsbeteiligung sollte integrativ-unterstützend sein, nicht abgekoppelt-treibend. Ziel ist, Kopplungen zu Curricula, Fachbereichen und Services zu ermöglichen.
2) Kommunikation über das Projekt hinaus
Mehrere Stimmen betonten, Kommunikation müsse über das Projektteam hinaus in die Universität wirken. In lose gekoppelten Organisationen ist Kommunikation ein zentrales Mittel, um funktionierende Anschlussstellen zu erzeugen.
Konkrete Praktiken:
- Stakeholder-Mapping: Relevante Akteurinnen und Akteure für Adaption, Legitimität und Ressourcen identifizieren. Planen, wann und wie sie einbezogen werden.
- Regelmäßige Feedback-Schleifen: Kurze Updates an Programmkomitees, Fakultätsgremien, zentrale Einrichtungen und Studierendenvertretungen öffnen Pfade für Integration und reduzieren Parallelstrukturen.
- Formatvielfalt: Kurze schriftliche Updates, Show-and-Tell-Formate und kleine Konsultationen kombinieren, um wechselseitige Anpassung zu ermöglichen.
3) „Banden bilden": Allianzen und Lernnetzwerke
Die Idee, „Banden zu bilden", fand Zustimmung. Gemeint sind Allianzen zwischen Projekten und Hochschulen, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen. Selten wird das Rad neu erfunden. Laterale Verbindungen beschleunigen Lernen und Diffusion.
Schritte in der Praxis:
- Communities of Practice innerhalb der Hochschule, die Projekte mit ähnlichen Themen oder Tools verbinden.
- Interinstitutionelle Allianzen, die Vorarbeiten, Fehler und Erkenntnisse teilen.
Zusammengefasst weisen skizzierten Stolpersteine und die Arbeit des Projektbeirats darauf hin, dass die Qualität der Kopplung zwischen Projekt und der gesamten Hochschule entscheidend für die Wirkung von Hochschulprojekten ist. Dabei müssen hochschultypische Herausforderungen mitgedacht und kluge Kopplungsmechanismen gefunden werden.
Zukünftige Projekte können profitieren, wenn hochschultypische und -spezifische Herausforderungen früh identifiziert werden, im Verlauf systematisch beobachtet und hochschulspezifisch gerahmt und passend bearbeitet werden, sodass anschlussfähige Pfade in Richtung Dauerstruktur erkennbar werden.
Wer hier schreibt
Lorenz Mrohs (M.A.) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bamberg und promoviert zur Steuerung und Organisation von Hochschulentwicklungsprojekten. Er koordiniert die Projekte DiKuLe (2021–2025) und BaKuLe (ab 2025).
Prof. Dr. Julia Franz ist Inhaberin der Professur für Erwachsenenbildung und Weiterbildung an der Universität Bamberg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind intergenerationelles Lernen, erwachsenenpädagogische Organisationsforschung und Digitalisierung in der betrieblichen Weiterbildung. Zuvor hatte sie eine Professur an der Universität Tübingen inne.